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Der lange Weg zum eigenen Ich.

Ein satirischer Therapieversuch.

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Eines morgens wachte ich auf, weil draussen die Vögel besonders laut zwitscherten, da wusste ich, es war Frühling geworden. Ich liess die Augen geschlossen und wartete ein bisschen auf die Frühlingsgefühle und was sie mit mir machen würden. Doch es geschah nichts. Dann kam der Morgenflug aus Bangkok und übertönte das Gezwitscher, und ich wusste, es war Zeit aufzustehen. Der Tag verlief ganz normal. Am Mittag setzte ich mich an die Limmat und schaute mir die Menschen an. Ich sah ganz viele nackte, schneeweisse Oberarme, die in der sengenden Mittagssonne um Hilfe schrien, doch es liess mich kalt. Gegen Abend brach die Kaltfront herein und am nächsten Tag lag eine schwere Schneedecke über den Primeln. Da regte sich in mir so etwas wie Schadenfreude und ich wusste, es war an der Zeit, einen Therapeuten aufzusuchen.

Der Therapeut war etwa 10 Jahre jünger als ich und hatte keine Haare mehr auf dem Kopf. Seine Augen waren derart hell und blau, dass ich mir sicher war, sein Blick war radioaktiv. Mit anderen Worten: er gefiel mir. Das war schon mal ein gutes Zeichen, schliesslich war ich auf der Suche meiner Frühlingsgefühle. Oder meiner Gefühle überhaupt. Doch er meinte, ich sei auf der Suche nach mir selber. So stellte er mir denn ein paar Fragen und ich hatte den Freibrief, eine Stunde lang nur von mir selber zu reden. Das ging 12 mal gut, dann war das Abo10+2 aufgebraucht und ich hatte schon ein gutes Stück von mir selber gefunden. Hier die Fundstücke meiner Persönlichkeit:

Ich bin eine durch und durch ehrliche Haut. Ich sage immer die Wahrheit und zwar die einzige und ewige Wahrheit. Mein Therapeut meinte, das töne ein bisschen zynisch, doch das stimmt nicht. Ironie ist mir fremd, Humor ein Greuel. Ich meine immer alles ernst. Es ist mir sogar eine heilige Pflicht, den Leuten die Wahrheit zu sagen. Dazu meinte mein Therapeut, das sei etwas zwanghaft. Doch auch da liegt er falsch. Ich will nur Gutes tun, denn die Wahrheit ist gut. (Der Therapeut heisst übrigens Ruedi, lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in Wallisellen und mit seiner Freundin und dem gemeinsamen Sohn in Zürich West. Dort sieht man ihn nach Mitternacht auch oft in Bars und Clubs. Er ist der Kerl im Teddybär-Anzug, der immer White Russians trinkt und kindliche Fäkalsprache spricht.)

In mir innen regnet es oft, doch manchmal bricht die Sonne durch und dann hüpfe ich auf der Blumenwiese meiner Seele herum und streichle Küken und kleine Katzen. Mein Therapeut meinte, das sei ein Zeichen dafür, dass ich noch viele Ressourcen habe, auf die ich zurückgreifen könne. Ich hätte ihm vielleicht auch noch sagen sollen, dass die Küken von den kleinen Katzen aufgefressen werden, kurz bevor der Regen wieder einsetzt. Aber seine radioaktiven Augen haben so schön gestrahlt – das konnte ich ihm nicht nehmen.

Ich finde Kinder blöd und überflüssig. Sie haben quiekige Stimmen, lachen doof, leisten keinen Beitrag zum Bruttosozialprodukt, sind jahrelang Analphabeten und bleiben fast 18 Jahre lang ausgemachte Kindsköpfe. Was ist daran so toll? Mein Therapeut meinte, ich solle nebst mir selber auch noch das Kind in mir suchen. Das musste ich ihm allerdings verweigern. Sollte so eins in mir rumirren, dann soll es gefälligst selber den Weg raus finden und falls ihm das nicht gelingt, kann es ja die Zeit mit den Küken und kleinen Katzen totschlagen (habe ich eben „Katzen totschlagen“geschrieben? Ein Freudscher.)

In meiner Freizeit male ich Bilder von toten Tieren. Das fand mein Therapeut etwas gekünstelt. Nun, da ich zwanghaft ehrlich bin: er hat recht. Das stimmt gar nicht, ich wollte nur ein bisschen provozieren, ein kleiner Hilfeschrei, damit er mich ernst nimmt und mich wieder so anschaut mit seinen blauen Augen… In Wahrheit versuche ich, meine wiederentdeckten Gefühle auf Leinwand zu pinseln. Das soll den Therapieeffekt verstärken und hat einen dekorativen Nebeneffekt: die vorwiegend in schlichtem Weiss gehaltenen Bilder passen hervorragend zu meiner monochromen Einrichtung.

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Wer solche Bilder malt, dem kann nicht mehr geholfen werden!

Zu guter Letzt: Auf der Fotografie oben bin ich nicht die wiehernde Frau auf der linken Seite, sondern der vermummte Mann rechts. In meiner Freizeit setze ich mich maskiert zu wildfremden Frauen aufs Bänkli und verführe sie zu Weisswein und Gelächter. Mein Therapeut hat mir ein weiteres Abo10+2 empfohlen. Aber ich glaube, das habe ich nicht mehr nötig. Unterdessen habe ich mich schon recht gut gefunden. Und zu meinen Frühlingsgefühlen: ich mag den Frühling nicht. Er ist weder Winter noch Sommer und hat was Schizophrenes. Wie die Frau auf dem Bänkli neben mir.